Das GRÜNE Grundeinkommen

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Robert Habeck
Landesvorsitzender von Bündnis 90/Die Grünen Schleswig-Holstein

Das Grüne Grundeinkommen

Einbringungsrede auf dem Landesparteitag der Grünen in Schleswig-Holstein, 11.11.2007

 

Liebe Freundinnen, liebe Freunde,

wir legen Euch hier ein Modell zu Abstimmung vor, das von zwei Seiten angegriffen wird. Den einen geht es zu weit, den anderen nicht weit genug. Es ist das Modell eines Sockelgrundeinkommens, das aufbauend auf einem armutsfesten Betrag von 500 Euro weitere, dann bedarfsgeprüfte Leistungen, zulässt. Gerade aber weil es die eingeübten Diskussionsfronten durch einander bringt, bricht es eben auch Gräben auf und öffnet neue Horizonte. Das Verwirrende, das nicht Einzuordnende, das ist es, was die Kraft dieses Modells ausmacht. Und das ist es, was es zu einem grünen Modell macht.

Und so funktioniert es: Jeder erwachsene Bürger bekommt 500 Euro. Kinder 400, weil sie besonders zu schützende Menschen sind. Diese 500 Euro für Erwachsene ersetzen den bisherigen Hartz IV Satz von 347 Euro für Erwerbslose und den jetzigen Steuerfreibetrag. Auf jeden verdienten Euro werden Steuern bezahlt. Wer zusätzlichen Bedarf hat, etwa Wohnkosten, kann dafür zusätzliche Zuschläge erhalten. Da unterschiedliche Lebenslagen besondere Bedürfnisse haben, da es regional sehr große Preisunterschiede gibt, werden diese Zuschläge also bedarfsgeprüft ermittelt.

Erwerbslose Alleinlebende, die den Hartz IV-Regelsatz beziehen, würden incl. Höchstsatz Wohngeld also statt 707 Euro nun 860 Euro bekommen.

 

Die verdeckten Armen, die sich aus Scham oder Unkenntnis nicht bei den Behörden melden, bekämen unbürokratisch Unterstützung. 3 Mio Menschen sind´es. Weitere 4 Mio Menschen, die Teile der Hartz IV-Leistungen in Anspruch nehmen, also Aufstocker und Mini-Jobber, würden sie nicht mehr benötigen. Und die Kontroll-Bürokratie entlasten. Die Verwaltungsleute hätten dann neue Möglichkeiten, sich statt um Sanktionen um die Menschen zu kümmern und wirklich zu fördern.

Hinzu kommt deutlicher Abstand zwischen Grundeinkommen und Arbeitslohn, der es lukrativer als heute macht, Arbeit aufzunehmen und der die Zahl der Bedarfsansprüche weiter reduzieren würde.

Bezahlt wird das Grundeinkommen durch die Anwendung des Prinzips der Bürgerversicherung auf die Einkommenssteuer. Alle Einkommen - Mieten, Zinsen, Kapitaleinkünfte – werden gleich besteuert.

In Deutschland gibt es im Jahr aber Einkommen von 1350 Mrd Euro.

Heute haben wir ein Einkommenssteueraufkommen von 180 Mrd/ Jahr.

Das entspricht einem Steueraufkommen von 13%.

Für das Grundeinkommen brauchen wir einen Batzen: 460 Mrd – Das erreicht man, wenn man den tatsächlichen Steuersatz von 13% auf 35% anhebt! Durch das vorgeschlagene Modell wird die soziale Schere zumindest halbwegs wieder geschlossen. Dazu gibt das Grundsicherungsmodell keine Antwort. Sozialer Ausgleich aber ist eines der stärksten Argumente für solch einen großen Wurf, wie es das Grundeinkommen ohne Frage darstellt. Die Kinderarmut hat sich in den letzte drei Jahren (!) auf 2,5 Mio verdoppelt – und das trotz, oder gerade wegen sinkender Arbeitslosigkeit. Kinderarmut ist faktisch Elterarmut. Obwohl Menschen also aus der Statistik gehen, können sie von ihrem Mini, Midi oder Teilzeitjob nicht auskömmlich leben. Der Wirtschaftsaufschwung führt nicht zu einem Rückgang der Verschuldung. Viele der neu geschaffenen Arbeitsplätze sind im Niedriglohnbereich angesiedelt. Der Verdienst reicht oft nicht zu einem normalen Leben. Die Reallohn-Entwicklung hält mit dem Preisanstieg nicht mit. Etwas ist aus dem Lot geraten. Und ich meine, es hilft nicht, die Augen davor zu schließen und nur die rostigen Klingen zu polieren. Ich glaube, man muss neue staatliche Instrumente für neue Arbeitsverhältnisse finden.

Liebe Freundinnen, liebe Freunde,

dies wird eine schwierige Debatte. Sie ist nicht nur schwierig, weil das Thema komplex und vielschichtig ist, sondern weil es sich fast unausweichlich mit philosophischen, ich möchte fast sagen, religiösen Fragen vermischt. Ist der Mensch von Natur aus fleißig oder faul? Ist er gut oder böse? Gibt es überhaupt eine Natur des Menschen? Darüber kann man lange reden und so manches Buch schreiben. Die Frage ist aber, ob eine politische Partei darüber entscheiden kann. Und ich meine, sie kann es nicht und sie sollte es nicht. Sehr wohl aber kann sie darüber entscheiden, wie die Gesellschaft beschaffen sein soll, in der Menschen der verschiedensten Naturelle gedeihlich miteinander auskommen. Ihre Regeln, ihre Gerechtigkeitskriterien, ihr Funktionieren - darüber muss eine politische Partei eine Aussage treffen.

Jeder von uns kennt irgendeinen, der besonders faul ist, der seine Steuern hinterzieht oder der sein Leben ruiniert, indem er zu viel arbeitet. Und ich wage zu behaupten, dass in der kommenden Debatte genau solche Beispiele als Argumente ins Feld geführt werden. Das aber sind keine guten politischen Argumente. Denn sie verallgemeinern einen Einzelfall für alle. So argumentiert die Bildzeitung mit Florida-Rolf, so werden Kampagnen gegen Minderheiten lanciert. Und so wird die Aufgabe einer politischen Partei verfehlt. Ein starkes politisches Argument schließt nicht von den Ausnahmen auf die Regeln, sonders setzt seine Regeln so gut, dass es die Ausnahmen im Blick behält. Ein starkes politisches Argument tut nicht so, als ob es eine neutrale Beschreibung der Wirklichkeit gibt, sondern stellt in Rechnung, dass sich Probleme der Wirklichkeit nicht quasi von selbst ergeben, sondern aus dem Widerspruch zu den Normen und Prinzipien der eigenen Ansprüche.

 

Liebe Freundinnen, liebe Freunde,

vier Vorwürfe werden gegen das Grundeinkommen erhoben.

Vorwurf Nummer 1: die Aldi-Brüder und Ackermann bekommen nun auch noch zusätzliches Geld. Genau das Gegenteil ist richtig. Wenn man nur die Regelleistung anhebt, ohne das System zu verändern, steigt auch der Steuerfreibetrag, der nämlich an die Höhe der Sozialleistungen gekoppelt ist. Also würden die Aldi-Brüder in Wahrheit durch eine Anhebung der Regelsätze ohne Wechsel zum Grundeinkommen besser gestellt im Vergleich zu heute.

 

Vorwurf Nummer 2: – nach dem Klischee "Freiheit statt Sozialismus" -:Investitionen in die soziale Infrastruktur werden zugunsten individueller Transfers aufgegeben. Der Vorwurf geht ins Leere. Das Grundeinkommen geht in unserem Modell nicht auf Kosten der öffentlichen Güter wie Bildung oder Krankenversorgung. Es wird, wie ich beschrieben habe, durch eine Systemumstellung der Einkommenssteuer finanziert, durch Geld, das uns in diesem Umfang nur zur Verfügung steht, wenn wir es mit einem großen vielleicht utopischen gesellschaftspolitischen Entwurf verbinden

Alle anderen Steuerquellen bleiben unangetastet.

 Und ich erinnere daran, dass auch ich Euch in den letzten Jahren vielfache konkrete Vorschläge zur Aufbesserung der Staatsquote und zur Investition in die Infrastruktur gemacht habe: Die Umwidmung des Solis in einen Bildungssoli: Volumen ca. 24 Mrd. Im Rahmen der Horizonte eine Substanzbesteuerung hoher Vermögen von 1,5 %: Volumen 35 Mrd. Eine Börsenumsatzsteuer von 0,5%: Volumen ca. 20 Mrd. All diese Vorschläge fanden keine Mehrheit.

Und jetzt, wo ein Modell für eine neue gesellschaftliche Solidarität präsentiert wird, wird der Vorwurf – oft von denen, die damals gegen die Infrastruktur-Gelder geredet und gestimmt haben – erhoben, das Grundeinkommen gehe zu Lasten der öffentlichen Güter. Ich stehe zu allen meinen Vorschlägen. Sie alle sind unangetastet von der Einführung des Grundeinkommens und wir können sie morgen beschließen. Aber es ist schlicht doppelzüngig, abstrakt gute Bildung zu fordern, aber konkrete Anträge dazu abzulehnen.

 

Vorwurf Nummer drei: Das Grundeinkommen gehe davon aus, dass uns die Arbeit ausgeht. Dem widerspricht das hier vorgestellte Konzept ausdrücklich. Alle Studien, alle Umfragen zeigen: Das größte und bedrückendste Kriterium von Ungleichheit ist, keinen Job zu haben, und keinen Zugang zur Arbeitswelt zu bekommen.

Menschen wollen arbeiten – sie wollen tätig sein und nicht eine soziale Hängematte! Aber spricht das gegen das Grundeinkommen? Eben nicht. Weil es so ist, geht es darum, die Barrieren und Hürden in der Arbeitswelt abzubauen. Weil es so ist, brauchen wir kein Sanktionssystem, das vorschreibt, was Lohn und Brot- würdig ist. Und genau diese Definition von "sinnvoller" Arbeit weitet der Vorschlag der Grundsicherung nun auch noch auf das Ehrenamt aus, indem es eine Grundsicherung plus vorschlägt, für die, die eine ehrenamtliche Tätigkeit verrichten. Nur wer sich zum definierten Wohl der Gesellschaft engagiert, bekommt die Anhebung des Regelsatzes auf 420 Euro. Dazu ist dreierlei festzustellen:

1. Armut wird dadurch nicht wirksam bekämpft.

2. Es wird einen riesigen, steuerlich subventionierten Verdrängungswettbewerb aus dem ersten Arbeitsmarkt geben.

3. Vor allen Dingen aber wird so ein zentrales Element der Gesellschaft ökonomisiert und reguliert: das freie Zusammenspiel von engagierten Menschen, die sich helfen, ohne nachzufragen, was sie davon haben.

Vorwurf Nummer vier: Das Rad ist zu groß, das ganze ein visionäres Konzept. Ich sage gerade in realpolitischer Hinsicht: gerade weil es so groß und von Visionen getragen ist, kann eine Begründung neuer Staatlichkeit entlang dieser Grundsätze gelingen. Dieses Modell des Grundeinkommens ist kein Modell der Aufkündigung der vielfältigen gesellschaftlichen Verschränkungen, sonder ein Modell zu ihrer Stärkung und Erneuerung. Es erneuert sie auf der Grundlage von Individualität, Vertrauen und Würde des Menschen. Es setzt ein BürgerInnenrecht ökonomisch in Kraft, das Recht auf kulturelle und institutionelle Teilhabe.

Liebe Freundinnen, liebe Freunde,

aber es gibt auch eine Reihe von Gemeinsamkeiten zwischen den konkurrierenden Konzepten. Ein Prinzip, dass unsere Partei von Anfang an geprägt hat, ist das der Individualität von Menschen. Beide Modelle halten den Anspruch der Individualisierung hoch und das völlig zu Recht. Nähme das Grundsicherungsmodell diesen Anspruch ernst, würde es nach konservativen Schätzungen 10 Mio. Menschen, meistens Frauen, die bislang über ihren Partner abgesichert waren, in das bedürftigkeitsgeprüfte System holen. Sie alle müssten kontrolliert werden, ihr Vermögen nachweisen. Eine sehr ungrüne Aufblähung der Bürokratie. Als Gegenfinanzierung wird die Aufhebung des Ehegattensplittings genannt. Das Ehegattensplitting nur abzuschaffen – so richtig diese Forderung ist – bedeutet allerdings auch, die unteren und mittleren Einkommenssegmente erneut zu belasten. Es also nur abzuschaffen ist keine befriedigende Antwort. Ebenso wie die Einführung eines Kindergrundeinkommens ohne Aufhebung der Bedarfsgemeinschaften dazu führen wird, dass zwar die Kinder mehr kriegen werden, es aber bei ihren Eltern wieder abgezogen wird. Statt Stückwerk muss eine umfassende Antwort gegeben werden, die den unteren Einkommensbereich absichert und dem verheerenden Vertrauensverlust und der grassierenden Existenzangst begegnet.

Auch hier bietet unser Ansatz eine elegante Lösung. Denn das Grundeinkommen sorgt für Gleichberechtigung bei der Auszahlung und kann deshalb das gleiche auch bei der Einnahme tun. Es gibt keine Steuerklassen mehr. Beim Grundeinkommensmodell steht das Individualitätsprinzip am Anfang, bei der Grundsicherung am Ende.

Wir stimmen weiterhin darin überein, dass der wachsenden Armut in Deutschland energisch begegnet werden muss. Eine Antwort ist, dass der beste Weg zur Bekämpfung von Armut Bildung ist. Kurzfristig aber wirkt dieser nicht. Und die Leute zu vertrösten, dass sie in 20 Jahren einen guten Job finden, und deshalb jetzt darben müssen, finde ich fast schon zynisch.

Und nur damit, Bildung als Rechtsanspruch durchzusetzen, ist es eben auch nicht getan. Man muss auch die Nachfrage nach Bildung stärken, man muss den Leuten klar machen, dass sie mit Bildung eine Chance haben in dieser Welt. Man muss sie motivieren, nicht erpressen. Man muss den Teufelskreis aus Demotivation und Kränkung durchbrechen.

Mir leuchtet jedenfalls nicht ein, warum wir in der Bildungspolitik eine neue Schule auf der Basis von Motivation und Vertrauen entwickeln, sobald aber jemand die Schule verlassen hat, auf der Basis von Misstrauen und Sanktionen agieren.

 

Liebe Freundinnen,

die Prinzipien, an denen ich Euch bitte, die konkurrierenden Konzepte zu messen, sind nicht die, die ich nur für das Grundeinkommen reklamieren kann – Bürokratieabbau, Transparenz, Vorsorge statt Nachsorge, Vertrauensvorschuss statt Kontrolle – es sind die in beiden Anträgen benannten:

Armutsbekämpfung, Individualisierung, Arbeitsanreiz

- und über die Einkommenssteuer einen Gerechtigkeitsausgleich herzustellen.

Es sind die grünen Prinzipien.

Messt beide Varianten an ihren eigenen Ansprüchen.

 

Liebe Freundinnen, liebe Freunde,

es wäre falsch und vermessen, wenn ich so täte, als ob es keine Fragen gibt. Die Zahlen, mit denen ich rechne, sind aus 2004. Ein dynamisches Berechnungsmodell liegt außerhalb meiner Fähigkeiten, eine genaue Angabe zur Progression ist mir nicht möglich, die Integration des Rentensystems ist schwierig wegen der erworbenen Ansprüche – aber: Man kann das Grundeinkommen schrittweise einführen. Erst für Kinder, über ein Aussetzen der Sanktionen für ein paar Jahre, vielleicht über ein Bildungsgeld, vielleicht durch eine Umstellung der negativen Einkommenssteuer zunächst nur für die Erwerbstätigen. Es ist falsch zu behaupten, dass dieses Modell nie Wirklichkeit werden kann. Aber gewiss ist: Die Wirklichkeit wird sich nicht verändern, wenn wir ihr nicht unsere Werte und unsere Konzepte entgegen halten.

 

Liebe Freundinnen, liebe Freunde,

der Vorschlag, über den wir heute beraten und abstimmen werden, ist kein Wolkenkuckusheim und kein Scheinriese, der immer kleiner wird, je genauer man ihn betrachtet, er ist im Gegenteil ein Brennglas, unter dessen Vergrößerung die Risse und Schattenseiten des bestehenden Sozialsystems immer größer werden. Das Modell "Grünes Grundeinkommen" hat sich in den letzten anderthalb Jahren rasant weiter entwickelt. Nur die Vorurteile dagegen sind die gleichen geblieben.

Deshalb bitte ich Euch um eine faire Betrachtung, eine ausgewogene Beratung und schließlich um die Zustimmung für diesen Antrag. Ich bitte Euch um den Mut, die Perspektive zu öffnen auf einen großen gesellschaftspolitischen Ansatz.